Der Tag, an dem die Stille kam, war kein Besonderer. Im Gegenteil, es war ein Tag wie tausend andere und daher konnte sich später niemand, auch nicht sie selbst, daran erinnern welcher es gewesen war. Das Einzige was alle wussten war, dass an diesem Tag nichts, aber auch gar nichts besonders war. Es war nicht außergewöhnlich heiß oder kalt, es war kein besonders sonniger oder verschneiter Tag, niemand besonderes hatte Geburtstag und keine der Meldungen in den Nachrichten überraschte irgendjemanden. Es war alles wie immer und dennoch kam sie – die Stille. Erst bemerkte sie keiner. Sie nicht, er nicht, und von den anderen sowie so niemand. Wie ein kaum wahrnehmbarer, feiner Geruch verteilte sie sich in allen Räumen der gemeinsamen Wohnung und nistete sich schließlich auch in den kleinsten Ecken, Ritzen und Winkeln ein. Eine Weile schlummerte sie dort unerkannt und für alle sichtbar mitten unter ihnen. Keiner weiß, wie viel Zeit verging: Tage? Monate? Jahre? Klar ist nur, dass sie diese Zeit voller Hinterlist nutzte, um größer und vor allem lauter zu werden. Erst war es nur ein leises Fiepen, dann ein Grummeln und schließlich ein dumpfes, stilles Dröhnen, welches sich in der Wohnung und den Köpfen ihrer Bewohner breit machte.
Und eben jenes Dröhnen war es wohl auch, welches sie an diesem Morgen aus dem Schlaf gerissen haben musste. Es war kein warmer, kein erholsamer Schlaf gewesen. Viel mehr war es ein rastloser, verwirrender Mix aus Bildern, Stimmen und Gedanken. Ein Schlaf, welcher einen zerbrochener und verletzlicher zurücklässt als man am Abend zuvor zu Bett gegangen ist. Und auch wenn diese Art des Schlafes ihr keines Falls unbekannt war, so merkte sie doch, dass an diesem Morgen, als unsere Geschichte beginnt etwas anders war. Bereits als sie die Augen aufschlug schien alles um sie herum strahlend hell und doch unendlich dunkel zugleich zu sein. Es war als hinge ein grauer, dunkler Schleier über der Welt, der alle warmen und kräftigen Farben durch eine milchige, grelle Variante ihrer selbst ersetzte. Das Bett, der Schrank, die Pflanze das gesamte Zimmer wirkten soweit in Ort und Zeit entrückt, dass sie einen kurzen Moment brauchte um zu begreifen wo sie sich befand. Wie gelähmt lag sie da und konnte nicht begreifen was passiert war. Wo war sie? Warum sah alles so anders aus? Und vor allem: Woher kam dieses unsägliche Geräusch? Sie spürte wie Panik in ihr aufstieg.
Schnell schloss sie die Augen und versuchte sich auf ihren Atem zu konzentrieren: Ausatmen, einatmen, aus, ein, aus und ein. Vielleicht träumte sie nur? Vielleicht war all dies gar nicht real, vielleicht müsste sie einfach nur aufwachen und alles wäre wie immer. Gerade als sie die Augen erneut öffnen wollte drang eine sanfte, melodische Stimme an ihr Ohr: „Na, bist du endlich aufgewacht?“.

1 thought on “Stille Ankunft”
Lou ·
Hey,
ich dachte, ich hinterlasse mal einen Kommentar 🙂
Ich finde deine Gedichte echt berührend! Und man erkennt dich auch sehr darin wieder (nicht negativ gemeint!). Du schaffst es echt lebendige Bilder vor Augen zu erschaffen. Hut ab! Ich lese sie alle sehr gerne.
Und deine Fotos sind auch mega schön und passend! 🙂
Ich bin gespannt, was noch so folgt ^^ Und würde dich auch abonnieren, wenn es ginge ^^
Ich wünsche dir noch einen schönen Abend,
Lou 🙂